Monatshighlight, Rezension

Monatshighlight November: Herausragende Dystopie einer vergessenen Autorin: Rose Macaulay – Was nicht alles

Wer kennt sie nicht, die prägenden Dystopie-Autor*innen des 20. Jahrhunderts – Aldous Huxley, George Orwell und..Rose Macaulay?

Ja, der Name war mir auch unbekannt. Und das, obwohl diese feministische Autorin (1881-1958) zu Lebzeiten preisgekrönt und von Queen Elizabeth II geadelt wurde. Wie das im männlich geprägten Kanon so ist, wurde sie „vergessen“ – obwohl Literaturwissenschaftler*innen ihr „What Not“ von 1919 als Inspiration für Huxleys Brave New World betrachten. Der Aviva Verlag hat es sich zur Aufgabe gemacht, aus dem Kanon herauskorrigierte AutorINNEN wieder ans Tageslicht zu holen. Und so erschien dort nun besagter Roman als „Was nicht alles“, herausgegeben und großartig übersetzt von Josefine Haubold.

Wer Huxley und Orwell kennt, staunt ob der Ähnlichkeiten. So antizipiert Macaulay die huxleysche Einteilung der Gesellschaft – in Kategorien von A-C auf Basis der Intelligenz. Heiraten darf nur, wer dadurch intelligente Kinder zeugt. Denn nach Ende des Großen Krieges scheint klar: menschliche Dummheit war schuld. Drum sollen auch Schulungen die Intelligenz fördern. Außerdem werden friedensgefährdende Begriffe direkt mit verboten, nur zur Sicherheit (ja, das klingt auch für mich nach einem Vorläufer von Orwells Newspeak). Wir begleiten die A-klassifizierte Ministeriumsangestellte Kitty Grammond, die im Ministerium für Verstand arbeitet und von all dem recht überzeugt ist. Zumindest bis sie sich in ihren Minister verknallt. Die Einstufung einiger seiner Verwandten als geistig zurückgeblieben verbietet seinen eigenen Gesetzen nach die Heirat. Und so stellt sich auch Kitty die Frage, welche Rechtfertigung es für ein solches System gibt.

Mit vielen Spitzen, Witz und Klugkeit ist dieses Buch nicht nur inhaltlich, sondern auch sprachlich großartig zu lesen. Besonders gefiel mir die Schilderung subversiver Einstellungen der Bevölkerung – auch hier feministisch geprägt. Denn wo sollen Hausfrauen die Zeit hernehmen, auch noch ihren Verstand zu schulen, wenn sie Stunden am Tag auf Reproduktionsarbeit aufwenden?

„Was nicht alles“ ist eine feministische Dystopie mit allem, was dazugehört. Sehr lesenswert ist auch Haubolds Nachwort, das den Roman nicht nur einordnet, sondern auch problematische Elemente – etwa den subtilen Antisemitismus – benennt und kommentiert. Denn wo es um Intelligenz geht, sollen Jüdinnen_Juden nach Ansicht des Ministeriums für Verstand besser nicht noch klüger werden, als sie es schon sind.
Diese seltsamen Kommentare sind zwar selten, eine kritische Kontextualisierung ist aber wichtig und gut. Deshalb möchte ich diese Übersetzung gerade auch wegen der sensiblen Herausgabe besonders empfehlen.

Ich habe dieses Buch sehr geliebt und durfte auf der Buchmesse sogar ein Autogramm der Übersetzerin abstauben. Die – hatte ich das schon erwähnt? – wirklich ganze Arbeit geleistet hat.

Rose Macaulay – Was nicht alles // Erstmals erschienen 1918, diese Ausgabe: 28.09.2022 // Aviva Verlag // Übersetzt und herausgegeben von Josefine Haubold // 280 Seiten // € 22,00

Ich durfte den Roman als Rezensionsexemplar lesen.

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