Rezension

Sommerliches Coming of Age mit Tiefgang: Dana Vowinckel – Gewässer im Ziplock

Schon ne Idee für einen inhaltlich alles andere als seichten, aber leicht daherkommenden Sommerroman für dieses Jahr? Ich würde „Gewässer im Ziplock“ von Dana Vowinckel vorschlagen.

Margarita ist 15, lebt mit ihrem Vater in Berlin und besucht jeden Sommer ihre Großeltern in den USA. Die Mutter hat die Familie schon in Margaritas Kindheit verlassen. Doch in diesem Sommer soll Margarita die Ferien dazu nutzen, ihre Mutter besser kennenzulernen – und so landet sie im Flieger nach Israel, wo ihre Mutter lebt. Der Aufenthalt dort ist allerdings alles andere als entspannt. Im etwas hilflosen Versuch, die Beziehung zu ihrer Tochter zu verbessern, macht sie sich mit ihr auf einen Roadtrip durch Israel. Derweil führt Margaritas Kontaktaufnahme mit dem Heimatland ihres Vaters Avi bei diesem zur grundsätzlichen Frage, was er eigentlich von seinem Leben möchte.

Was auf den ersten Blick wie ein Coming of Age-Roman wirkt, entwickelt schnell nicht nur einen inhaltlichen Sog, sondern thematisiert am Beispiel einer über drei Kontinente verstreuten Familie grundlegende gesellschaftliche Herausforderungen im Allgemeinen und deren Zusammenspiel mit Antisemitismus im Besonderen. Es geht um Klassismus und Rassismus in Israel, darum, wie die Unsicherheit des Landes sich auf die israelische Gesellschaft auswirken und um die Verbindung unterschiedlicher Antisemitismuserfahrungen und generationaler Prägungen mit unterschiedlichen Positionen zum Regierungshandeln. Es geht darum, dass Judentum und Israel nicht losgelöst voneinander zu betrachten und gleichzeitig nicht aufeinander reduzierbar sind. Es geht darum, wie das Judentum in verschiedenen Ländern unterschiedliche Traditionen ausgeprägt hat, die durch die Zerstreuung von Familien auch innerhalb dieser zu Konflikten und unterschiedlichen Erwartungen führen.

Es geht um den antisemitischen Normalzustand in Deutschland, um modernes jüdisches Leben zwischen Tradition, Emanzipation und Gedächtnistheater und immer wieder um die Herausforderungen, die sich aus all dem Othering und der Suche nach der eigenen Identität für eine Familie ergeben, die auf diese Herausforderungen keine gemeinsame Antwort hat.
Und dazu kommen die typischen Teenagerprobleme Margaritas von Selbstzweifeln über erste Liebe und Enttäuschung, die sich eben nicht unabhängig von ihrem Jüdischsein und dem erlebten Antisemitismus verhandeln lassen, während Margarita gleichzeitig dagegen ankämpft, auf ihr Jüdischsein reduziert zu werden.
Mit all dem sollte bereits deutlich geworden sein, dass „Gewässer im Ziplock“ ziemlich tief geht, Ambivalenzen schafft und aufrechterhält. Auch die Charaktere sind vielschichtig, bilden unterschiedliche Facetten jüdischer und israelischer Identität ab, ohne dabei ins Klischee zu kippen. Viele der zwischenmenschlichen Situationen sind schmerzhaft, dabei aber leicht und unmittelbar erzählt, schaffen Nahbarkeit und vermitteln einen Eindruck nicht nur von der Heterogenität der gegenwärtigen jüdischen Gesellschaft, sondern auch ihren vielen Copingmechanismen.
Ich habe unglaublich viel gelernt in diesem Buch, Margarita ins Herz geschlossen, mich ihren Eltern angenähert und die meisten Personen nur ungern verlassen. Das sind wie ich finde gute Voraussetzungen für eine herzliche Leseempfehlung. Diese sei damit also ausgesprochen.

Dana Vowinckel – Gewässer im Ziplock // Erschienen am 20. August 2023 // Suhrkamp Nova // 362 Seiten // € 23,00

Ich habe das Buch selbst gekauft.