Rezension

Kurzweilige Geschichtsunterhaltung: Jo Hedwig Teeuwisse – Fake History

Du dachtest, im Mittelalter hätten überall Fackeln an den Wänden gehangen und Marie Antoinette hätte dem Volk bei großer Hungersnot geraten, Kuchen zu essen? Weit gefehlt, beides ist falsch. Das macht Jo Hedwig Teeuwisse deutlich, niederländische Historikerin und Fake History Hunter auf Twitter. In 101 kurzen Kapiteln knöpft sie sich in „Fake History“ historische Fehlerinnerungen und falsche Geschichtsbilder vor (Werbung: Reziexemplar). Zugegeben: So weitverbreitet, wie der Untertitel suggeriert, sind sie wohl eher nicht.

Dabei lassen sich grob drei Kategorien unterscheiden.

Erstens: Fotos oder Zitate, die online geteilt werden und angeblich auf eine historisch real passierte Situation verweisen, die aber Urban Legends sind – das angeblich erste jemals angefertigte Foto einer Katze, ein angeblich lauschiges Highland-Dorf, das eigentlicht Filmkulisse aus Babelsberg ist oder die angeblich getätigten Zitate von Einstein bis Churchill.

Zweitens: Gefährliches Halbwissen, das unser Bild von Geschichte prägt und falscher nicht sein könnte. Etwa, dass im Mittelalter alle ihre Nachttöpfe auf der Straße ausgeleert hätten und plötzlich Dreck der Reinlichkeit vorgezogen hätten. Oder eben die Nutzung von Fackeln zur Beleuchtung.

Und drittens: Historische Verweise, die politisch gefährlich, da instrumentalisiert werden. Etwa die Behauptung, bei den Nürnberger Prozessen seien Ärzt*innen und Krankenpfleger*innen umgebracht worden, die Menschenversuche durchgeführt hätten – während der Pandemie wurde das wohl öfter mit der Drohung geteilt, dies auch mit Ärzt*innen zu tun, die sich für Impfungen einsetzen.

Abgerundet wird das Buch durch ein Schlusskapitel mit praktischen Tipps, wie man selbst Fakes überprüfen kann. Teeuwisse nutzt eine lockere Sprache, die mich an einigen Stellen zum Lachen gebracht hat und versorgt einen mit Nischenwissen, das sich auf jeder Party gut macht – nein, Pong war nicht das erste Computerspiel!

Allerdings werden auch die Grenzen eines solchen Projekts deutlich, das auf historische Eindeutigkeit abzielt. Denn oft sind Dinge eben auch Ansichtssache, vor allem, wenn wir mit später entstandenen Begriffen versuchen, frühere Ereignisse oder Dinge zu beschreiben. Das gesteht Teeuwisse selbst zu, aber trotzdem fand ich manche Kapitel auch nicht überzeugend. So argumentiert sie, dass die ersten KZs nicht von Nazis etabliert wurden – denn die ersten mit Stacheldraht umzäunten Gebiete zum Zusammenpferchen von Menschen reichten weiter zurück. Nun ist die Frage, was man als KZ versteht und bei der von ihr angelegten Minimaldefinition mag das stimmen. Im allgemeinen Sprachgebrauch sind KZs aber meist mit Arbeits- und Vernichtungslagern verbunden. Und die industrielle Vernichtung, für die die Lager planmäßig an Schienen und co. gebaut wurden, ist eben tatsächlich im Dritten Reich entwickelt worden. Auch, wenn es Lager schon in der Kolonialzeit gab, aber sie dienten anderen Zwecken.

Hier zeigt sich, dass es eben auch historisch nicht immer alles so eindeutig ist und man deshalb Grautönen mehr Raum bieten müsste, als es über das Fake-Konzept möglich ist. Da ich keine Historikerin bin, kann ich dementsprechend nicht bewerten, ob meine Kritik auch auf andere Kapitel zu mir weniger vertrauten Themen zutrifft. Das macht das Buch nicht schlecht und ehrt Teeuwisse für den Versuch, über Mythen aufzuklären, nicht weniger. Aber man sollte trotzdem im Hinterkopf haben, dass Geschichtswissenschaft sich selten auf „das ist falsch/richtig“ runterbrechen lässt, sondern es oft unterschiedliche Perspektiven gibt – zumindest, sofern wir tatsächlich über historische Ereignisse oder den Zustand der Gesellschaft reden und nicht über „dieses Foto ist das erste Selfie“.

Fairerweise sei gesagt, dass Teeuwisse diese angebliche Eindeutigkeit an sehr vielen Stellen selbst abschwächt. Insgesamt also auf jeden Fall ein kurzweiliges Lesevergnügen.

Jo Hedwig Teeuwisse – Fake History. Hartnäckige Mythen aus der Geschichte // Erschienen am 15. November 2023 // Heyne Verlag // Übersetzt von Ralf Pannowitsch // 432 Seiten // € 18,00

Ich habe das Buch als Rezensionsexemplar gelesen.